Aus dem Winterschlaf erwacht
(von Joachim Eiermann)
Gaggenau. Wenn zwei Kunstgattungen aufeinanderprallen, ist Skepsis ange-bracht. In den 1980er-Jahren spielte plötzlich die Filmoptik eine maßgebliche Rolle, ob ein Musikstück das Zeug zum Hit hatte oder nicht. Bataillone von Tanzenden wurden in Bewegung versetzt, um Stars und Sternchen in den Videoclips zu umschmeicheln. Der Jazz ist für derlei Kommerz wenig verdächtig. Ein Jazzkonzert mit Tänzerin, wie es jetzt bei der neuen „Collectivity"-Reihe zu erleben war, stellte für die klag-Bühne ein Novum dar. Das Publikum feierte das Experiment mit großem Applaus.
Saskia Hamala tanzt nicht, um der Musik vordergründig größere Wirkung zu verleihen. Clara Vetter am Flügel, Max Treutner (Saxofon, EWI) und Hans Fi-ckelscher (Schlagzeug, Perkussion) spielen nicht, um der Tänzerin nur einen Klangteppich auszurollen. Wie im Jazz üblich, bringen die Akteure ihre individuellen Stärken ein. Sie interagieren, um etwas Gemeinsames zu entwickeln.
„Jazz meets Impro-Tanz" lautet die Devise für ein genussvolles Gleiten durch die vier Jahreszeiten. Alles fließt. Vielfältige Jazz-Improvisationen korrespondieren mit den raumgreifenden Bewegungen der Tänzerin. Auf eine Choreografie hatte Saskia Hamala bewusst verzichtet zugunsten einer lebhaften Darstellung von „Frische und Spontani-tät", wie sie sagte. Auch gab es kein langes Proben. Die Ideen und Skizzen, über die sich die Vier zwischen Stuttgart und Gaggenau im Vorfeld per Telefon und Internet ausgetauscht hatten, fügten sie erst am Tag der Aufführung zu einem Ganzen zusammen: Zu einer Ode auf den Jahreslauf, die Natur und das Leben, zu dem die Aktrice erst allmählich aus dem Winterschlaf erwacht. Sie reckt und streckt sich, bevor sie sich sinnbildlich zur vollen Blüte entfaltet. Sie tanzt wild, artistisch, ausdrucksstark. Zuweilen zieht sie sich wie in ein Schneckenhaus zurück, getrieben von inneren Empfindungen und äußeren Ein-flüssen, die Assoziationen wecken. Zu spüren sind die Kraft des Frühlings, die quälende Hitze des Sommers und die Stürme im Herbst. Die Symbiose aus Musik und Tanz ist sinnlich und poetisch, zudem berührend, wenn sich Saskia Ha-mala im Winter ein wärmendes Licht ans Herz drückt. Von „April in Paris" über „Summertime" bis „Autumn Leaves" hielt das Great American Songbook die thematisch passenden Standards bereit. Zwei nicht minder inspirierende Vorlagen steuerte Hans Fickelscher aus eigener Feder für den Winter bei. Eine Produktion der Esslinger Tanzkompanie hatte die vier Akteure zusammengeführt und auf die Idee gebracht, dieses Projekt zu realisieren. Die klag-Reihe „Collectivity" scheint dafür wie prädestiniert. „Jeder Abend ist anders", hatte die städtische Kulturbü-roleiterin Angelika Schroth bei der Begrüßung als Besonderheit hervorgehoben. Am 11. April gibt's „Gröneberg", das Beste von Grönemeyer und Lindenberg in überraschenden Arrangements. Clara Vetter und Max Treutner sind wieder mit von der Partie.